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Innensichten aus dem Da_Zwischen

Im Gespräch mit Martin Niekaempers Porträtserie gut. katholisch. queer.

Liebe Freund:innen, liebe Kolleg:innen, liebe Alle

Ein bisschen ist es ja schon angeklungen, aber dennoch bedarf es, so finde ich, gleichwohl noch einer Bemerkung und Erklärung meinerseits zu Beginn. Darüber, wie ich dazu komme, hier zu stehen und zu sprechen. Was ja doch ein  Widerspruch par exellence zu sein scheint, nimmt mensch das Manifest der Bewegung  #outINchurch beim Wort. Dort heisst es eingangs:

«Wir sind’s!

Es wurde viel über uns gesprochen.

Nun sprechen wir selbst.»

Wer also bin ich, dass ich hier spreche? Einmal mehr also, auch durch mich: Das alte Spiel? Das alte Lied? Aneignung und Enteignung? Dass hier nicht ein alter weisser heterosexueller Mann, sondern eine alte weisse heterosexuelle Frau steht, das macht die Sache schlussendlich ja nicht wirklich besser.

Nun. Ich will das und mich erklären. Es begann unspektakulär. Beiläufig fast und irgendwie nebenbei. Wie das meist so ist bei den wichtigen Dingen im Leben. Meine Professorenkollegin Anne und ich sassen zu Beginn des Sommersemesters im Café in der Sedanstrasse hinter der Uni in Freiburg i. Breisgau. Wir tauschten uns über die anstehenden Projekte der kommenden Monate aus. Und Anne erzählte mir von ihrem Leben zwischen Freiburg & München. Und davon, dass sie sich von Martin porträtieren lassen werde. Und sie frug mich: Elke, wäre es nicht eine Idee, dass Du was schreibst zur Porträtserie im Ganzen? Quasi als Erst_Leserin beziehungsweise Erst_Seherin? Ich war berührt. Und geehrt. Von ihrem Vertrauen. Und Zutrauen. In meinen Blick. Auf Sie. Auf #outINchurch. Darauf, dass ich uneingeschränkt solidarisch bin mit dieser Bewegung und dem ganzen Projekt.

Ich sagte Ja. Und stehe nun hier.

Wissend, welch Wagnis es für Anne ist. Wissend, dass Faith spaces keine safe spaces sind. Wissend, dass mensch weder in der Kirche noch an theologischen Fakultäten sicher sein kann. Wissend, dass alles ein Wagnis ist. Dass es grossen Mut braucht, sich wie Anne – und Efra, Marie, Monika, Tobias, Burkard, Frank, Achim, Miki, Rainer –  der Kamera und dem Blick des Fotografen auszusetzen.  Sie alle haben gelernt, ihre diversen, non binären, queeren Identitäten zu 

verstecken und ihr Begehren und Lieben jenseits der heteronormativen „Norm“ zu verschweigen. Dass es aufhört, dieses sich Verstecken und sich Verschweigen müssen – wir haben es gehört –  dafür steht die Bewegung #OutInChurch, zu der Anne und alle Porträtierten dieser Ausstellung gehören. Nichtsdestotrotz blieb und bleibt es ein Wagnis und braucht es furchtbar viel Mut, sich der Kamera und dem Blick des Fotografen auszusetzen.  Denn weiterhin drohen Diskriminierung, Ausgrenzung und arbeitsrechtliche Konsequenzen.

Anne, sie fehlt heute Abend. Leider. Als Studiendekanin der Theologischen Fakultät ist sie ausgerechnet heute zu einer Weiterbildung aufgeboten, die ihr Kommen verunmöglicht. Sie _ Ihr werdet Anne aber dennoch alle Kennenlernen: beim Rundgang durch die Ausstellung. Auf den ich Sie jetzt mitnehmen möchte.

Ich möchte mit Ihnen meinen Blick teilen, meine Beobachtungen, die – wie könnte es anders sein angesichts der mir zugemessenen Zeit – nur eklektisch und kursorisch sein können.

Das Projekt im Ganzen und der Gestus des Fotografen

Martin, Du trägst der Angst, dem Mut und dem bleibend Gefährdet sein der Porträtierten mit grossem Ernst Rechnung. Du stellst sie in diesen – wie ich es nennen möchte – Innenansichten aus dem Da_Zwischen nicht aus. Du näherst Dich ihnen behutsam und bleibst doch auf Distanz. Du machst weder Dich noch uns zu Voyeur:innen. Du verweigerst Dir (und uns) „den“ fremden, heteronormativen Blick, welcher die Körper der Porträtierten nach visuellen Markern und Indizien absucht, um ein vermeintlich Anderes, Schrilles oder Schräges zu identifizieren und laut zu inszenieren. Du Martin weisst, dass ein solcher Zu_griff ein Über_griff wäre. Und so bleibst Du ganz dem eigenen, intimen Blick der Porträtierten auf sich selber verpflichtet.

Das wird programmatisch Gestalt in dem formalen Motiv gespiegelter, fragmentierter Kippfiguren. Efra wie auch Miki, stehen bzw. sitzen auf dem Boden und schauen nicht etwa uns oder Dich, den Fotografen an. Nein sie schauen sich selber an; und zwar in einem gekippten Spiegel, der vor ihnen platziert ist.  Die Bilder, die entstehen, sind nicht flächig und ganz. Sie zeigen vielmehr ihre Gestalt fragmentiert im Da-Zwischen. Beine, Schuhe, Unterkörper sehen wir aus der Perspektive der Sitzenden/des Stehenden. Oberkörper und Gesicht hingegen sehen wir gespiegelt im Spiegel. Auch wenn wir in ihr Gesicht sehen: ihr Blick gilt sich selber. Sie gehören sich. Nicht uns.

Macht und Ohnmacht.
Räume als Manifestation struktureller Asymmetrien

Fragil und verhalten, scheu und zaghaft, bisweilen abweisend und verschlossen, mit vor der Brust gekreuzten Armen, stehen die Porträtierten da im Da_Zwischen dieser KirchenInnenRäume. Sie stehen unter einer Tür. Vor einer Tür. Vor einem in grün markierten Notausgang. Sie stehen im Durchgang. Schemenhaft, verschwommen, im Schatten, bisweilen im Gegenlicht. In diesen Innen_Räumen dominiert die Vertikale. Hoch und zugleich wuchtig sind sie. Die Mauern massiv. Ebenso die eisernen, schweren Türen. Wenn überhaupt, dann sind sie nur einen kleinen Spalt geöffnet. Säulen und andere architektonische Strukturen werden zu harten, schroffen Linien, die breite Gräben und Grenzen markieren. Die zwischen Macht und Ohnmacht. Und so werden die RaumAnsichten zur Manifestation massiver struktureller Asymmetrien.

Figuren am Rand.
Selbst in der Mitte mutterseelenallein.

Die Porträtierten sind meist Figuren am Rand.

Rainer, im Chorgestühl sitzend, rutscht fast aus dem Bild, während der Bischofsstuhl, das Emblem kirchlicher Gewalt und Macht, im rechten Bildteil seinen Platz selbstbewusst behauptet. Der aber, der auf diesem Stuhl zu sitzen kommt, für den liegt Rainer ausserhalb seines Blickwinkels; er streckt ihm per se den Rücken zu.

Achim wird zu einem winzig kleinen Vexierbild in einem grossen flächigen Wandtableau, das ihn nicht nur beinahe verschluckt. Sondern ganz und gar.

Rainer , er verschwindet in der Kirchenbank, sein T-Shirt ist taubenblaugrau und vermischt sich mit weiss-grau gefliessten Boden.

Aber auch dort, wo die Porträtierten gleichsam in die Mitte des Raumes einrücken, verschwinden sie und sind mit blossem Auge fast nicht wahrnehmbar Ich brauchte eine Lupe, um Achim zu erkennen, wie er da in der Pfarrkirche St. Stephan (in Karlsruhe) im grossen, 270 Grad Rund der konzentrisch angeordneten Kirchenbänke, die Mitte einnimmt. Ein schwarzer Strich, eine Art Streichholzfigur nur. So dünn und klein. So unendlich zerbrechlich. Selbst in der Mitte unsichtbar.

Und Überhaupt: Kein Mensch nirgends weit und breit. So leer die Räume. So mutterseelenallein. Selbst das einzige Paar der Serie, es bleibt allein.  Die Abwesenheit von anderen Menschen aus Fleisch und Blut in diesen Porträts, in diesen Innen_Räumen, in die kein Aussen dringt, das ist kaum auszuhalten.

Allein schon beim Betrachten kriegt mensch keine Luft und denkt: nichts wie weg hier.

… Wäre da nicht … Wären da nicht ….

Wären da nicht jene Objekte, Bildträger und Kunstwerke, die – technisch gesprochen –zum erinnerungskulturellen Bestand des Christentums zählen. Die als memoriale Ikonen und Zeichen jene*n Menschen und ihre*seine Gestalt und Geschichte  ver_körpern, repräsentieren und inszenieren, dem*denen sich die Kirche verdankt: das hölzerne, sich den Betrachtenden zuneigende Kreuz, die Mutter Jesu, die ihren toten Sohn hält, der Jesus mit seinem bunten Gewand und dem rot leuchtenden Herzen auf der Brust

Diese Ver_Körperungen, sie treten in einen Dialog mit den Porträtierten durch die Art und Weise, wie Du, Martin, die Perspektive gewählt hast und, die Räume ausleuchtest bzw. das Setting inszenierst.

Die dadurch entstehenden Bezüge haben Kraft. Und sind Statements. Sie entbergen das Zurückbleiben und Scheitern der Kirche an ihrem Ursprung und denunzieren es mit Macht. Und setzen damit inszenatorisch den Kontrapunkt schlechthin: sie setzten die Porträtierten von dem her ins Recht, dessen Namen wir tragen.

Das bringst Du, Martin, wie ich finde, meisterlich ins Bild. Unter anderem durch das Spiel mit Proportionen.

So sitzt Anne zunächst auf einem Hocker und erscheint nicht nur, sondern ist auch real winzig klein neben dieser grandiosen Christusplastik (von Franz Gutmann) mit dem 5 ½ Meter hohen Korpus aus Eichenholz auf dem 16 Meter hohen Stahlträger, welcher in der Freiburger Universitätskirche seit 1988 steht. Im gekippten Spiegelporträt bringt Martin dann den ausladenden Dornenkranz dieses Christus so auf Annes Kopf zu sitzen, dass er ihr haargenau passt und es zwischen beiden nicht nur keinen Grössenunterschied mehr gibt. Sondern sie zu einem einzigen Icon verschmelzen. Seine Krone wird zu ihrer. Ihr verschwommen bleibendes Gesicht wird zu seinem.

Martin, Du gibst uns Theolog:innen hier eine Steilvorlage: was, wenn wir Christus-Repräsentation fortan so und von da her denken würden: von diesen Spiegelungen & Perspektiven_Verschiebungen her: welche Wertschätzung und welches Empowerment liegt in diesem Bild, das mich – Sie nehmen das bitte nicht als Eitelkeit meinerseits – mich aber natürlich auch an Gaby erinnert und von woher sich im Crossmapping ein neues, weiteres und weites queeres Diskursfeld eröffnet.

Doch bleiben wir bei der Serie und wenden wir uns einem weiteren Gestaltungselement zu, das sich in den Porträts von Efra Achim, Burkhard und Tobias findet, und das unsre Aufmerksamkeit verdient.

Wenn Sie genau gucken: Sie alle halten sich eine rote Plastikfolie vor das Gesicht und verdecken damit hälftig Kinn und Mund. Das Rot allein, es schreit laut. Und klagt an: das aufgezwungene Verschweigen und Wegducken müssen. Martin hat davon gesprochen. Und gleichzeitig, so will es mir scheinen,  lässt die rote Folie die Porträtierten selber zu einem Bild-Ausschnitt werden, der zu einem bunten Kirchenglasfenster gehören könnte. Sodass sie – Heiligenfiguren gleich – als Bodies of grace und queer icons leuchten.

Marie und Monika, Sie/Ihr kennt sie bereits vom Einladungsflyer zu dieser Vernissage, die beiden Frauen sind die einzigen im Buch, die sich als Paar und mit Lebensmensch haben porträtieren lassen. Erstmals, nach 40 Jahren gemeinsamen Lebens, zeigen sie hier ihre Liebe zueinander verhalten zurückhaltend. Sie küssen sich. Sie sind sich in einer Umarmung nah. Dort, wo sie sich umarmen, ist ihnen von der rechten Bildhälfte her eine Skulpturen-Gruppe zugewandt. Diese Gruppe besteht aus den Jünger:innen, die nach der Kreuzabnahme den toten Leib Jesu sanft und zärtlich bergen. Diese Skulpturen-Gruppe leuchtet Martin so aus, dass sie Schatten an die Wand wirft und gleichsam zum Leben erwacht. Und mit derselben Zartheit, Andacht und Bewegtheit des Herzens, die sie dem toten Jesus damals schenkte, wohnen diese Figuren dem Moment intimer Innigkeit von Marie und Monika heute bei.

Dieser Harfenton, der in diesem von Dir, Martin, inszenierten Gespräch erklingt, er findet seinen Widerhall in jenen KirchenInnenRäumen, die andere sind und anders sind als die bislang beschrieben. Anders, insofern in ihnen nicht das Vertikale, das Schroffe und Trennende dominiert, sondern das Runde, Weiche und Offene. Und das dem Raum des Da_Zwischen einen goldenen Schimmer gibt.  Und wo die Fluchten weit und die Himmel hell  sind. Und wo – wie in der Würzburger Augustinerkirche mit ihrer Kunststation – es nicht nur ein Buch der

Namen gibt, sondern auch den mit Leuchtdioden visualisierten künstlerischen Zuspruch, der uns allen gilt und für uns alle gleich gilt, egal wie wir begehren und lieben, einfach weil wir Menschen sind: Ich will, dass Du bist.

© prof. dr. elke pahud de mortanges

elke pahud de mortanges
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