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Versehrt, wund und heilig

Eine postmoderne «MA-DONNA» mit Bindestrich. Erkundungen im gleichnamigen Stück von Camilla Dania.

Grossbuchstaben und ein unscheinbarer Bindestrich und schwuppdiwupp, schon wird das Wort Madonna zum Fanal. Dass es so schmallippig wie sublim daherkommt, dieses Fanal, das hat mit der süditalienischen Herkunft der Autorin Camilla Dania (*1988) zu tun. Die katholische Welt der Heiligen und der Jungfrau Maria sind ihr von Kindesbeinen an vertraut. Und weil das Italienische ihre Muttersprache ist, kann sie den Begriff der Madonna bereits auf der sprachlichen Ebene subtil unterlaufen. Und so wird aus der katholischen Madonna die Antithese einer postmodernen MA-DONNA.

Madonna_MA-DONNA

Madonna: meine Dame

donna = Frau/Dame; ma = mia Possesivpronomen: meine

Im Deutschen verwendet man eher den Plural und spricht von der heiligen Maria als unsere Frau und fügt meist noch ein liebe ein: unsere liebe Frau.

MA-DONNA: ABER-FRAU

donna = Frau/Dame; ma = Konjunktion: aber, ach
ABER-FRAU.
Aber Frau!
Aber Frau?
Aber ja, Frau!

 

SIE und ER: Wer sind sie und wenn ja, wie viele?

Auf den ersten Blick scheint dieses Stück ein Zwei-Personen-Stück zu sein. SIE und ER. Frau und Mann. Zwei Schauspieler_innen auf der Bühne. In unterschiedlichen Konstellationen und Kontexten: Beichte und Bewerbungsgespräch. Krankenhaus und Psychiatrie. Spielcasino und Daheim.

Beide reden. SIE mehr, ER weniger. Sie reden ohne einander, übereinander. Vor allem aber aneinander vorbei. SIE erklärt sich. Und ihn. Und ER, er versteht nicht. Er ist draussen. SIE sagt von sich, sie sei nicht sanft, nicht nachgiebig, nicht duldsam. Sondern kantig, asymmetrisch, kubistisch, vulgär, aggressiv, verrückt. Die Ärzte, Psychologen, Gurus und Quacksalber sagen von ihr, sie sei depressiv und spielsüchtig und sie müsse sich jetzt um sich selbst kümmern. Er sagt von ihr, er wisse nicht, warum sie so geworden sei.

Ist diese SIE eine einzige Person? Oder ver_körpert sie multiple SIE’s? So wie auch dieser ER nicht einer ist, sondern viele? Ver_körpern beide also etwas, was das spezifisch Individuelle von Personen übersteigt? Haben sie etwas, das sie zum Typos des SIE-Seins und des ER-Seins macht und das sie bleibend trennt?

 

Binäre Geschlechterstereotype?

Die Antwort des Stücks darauf scheint eindeutig: Ja, es gibt dieses Etwas. Und dieses hat vor allem mit ihrer Leiblichkeit zu tun. Und auch mit ihrem Geschlecht. Mit dem, was SIE und ER zwischen den Beinen tragen: mit Vulva/Vagina und Penis.

Au weia, sagen Sie? Führt das Stück damit nicht auf ziemlich vermintes Gelände? Und reproduziert es nicht Geschlechterstereotype, indem es SIE/Frau und ER/Mann auf vermeintlich äussere Geschlechtsteile reduziert? Wiederbelebt das Stück gar den Differenzfeminismus der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts? Also wieder das (zu) alte Lied: weiblicher Penisneid und Geschlechterkampf? Verletzt SIE ihn dort aus diesem Grund? Und nennt das alles in allem nur ein „mickriges Ereignis“?

In der Tat waren das mein erster Gedanke und mein Vorbehalt gegenüber dem Stück. Bei(m)einer weiteren Lektüre hingegen ging mir auf: der Titel MA-DONNA gibt – vergleichbar einem Notenschlüssel bei einem Musikstück – eine Tonart und Lesart vor. Der Autorin geht es um eine ganz andere Differenz. Eine Differenz, die zwar auch leiblich konnotiert ist, aber die gerade nicht biologistisch-binär kodiert ist.

Es geht ihr um das, was SIE sowohl von der Madonna des katholischen Heiligenhimmels als auch von ihm, dem ER, trennt.
Diese Differenz ist markiert durch das Bluten, den Schmerz, die Geburt, das wund-sein, das versehrt-sein am Leib. Für immer.

Madonna. Jungfrau vor, während und nach der Geburt.

Die Jungfrau Maria blieb gemäss dem katholischen Master-Narrativ ein Leben lang keusch und rein. Schwanger wurde sie ohne das Zutun eines Mannes. Die Geburt ihres Kindes Jesu war anscheinend ein Klacks. Oder halt eben ein Wunder. Jedenfalls blieb Maria dabei so unversehrt am Leib wie sie vor der Geburt war. In der Sprache der Kirchenmänner heisst das: sie blieb Jungfrau vor, während und nach der Geburt. Das macht sie so besonders, dass die katholischen Gläubigen nicht nur ihren Sohn Jesus, sondern auch sie als Heilige verehren und sie im Gebet anrufen.

ER. Erzwingt Nähe da unten rum.

ER ist ihr Ehemann und versteht nicht(s). Er ist am Rand. Irgendwo. Da. Ausserhalb. Seitdem ihre Tochter den Leib seiner Frau bewohnt hat, ist dieser ihm verwehrt. Als «die Distanz Gesetz wurde» zwischen ihm und ihr, beginnt er über Nähe nachzudenken. «Ich spürte mich nirgendwo und hatte Angst zu sterben». Sein Begehren wird zudringlich. Er kämpft um Nähe; darum «noch tiefer» in sie «einzudringen».  ER überschreitet die Grenze.

Und SIE?

SIE versehrt seinen Leib. Da unten rum. Nicht aus «feministischer Rache» oder seiner «Treulosigkeit» wegen. Nein. SIE sagt, sie habe ihn versehrt, weil sie wollte, «dass mein Mann so wird wie ich.» So werden wie SIE. Versehrt und wund. Synchronisiert und ihr wahrhaft nah im Schmerz.  Nah im Blut(en). Und nicht im «Ficki-Ficki mit seinem Lolli».

 

SIE: Mein Leib voll Blut und Wunden. Und ohne Begehren.

Ihr Bluten und Gebären

Im Gegensatz zur Madonna war die Geburt ihres Kindes kein Klacks. Es hat sie buchstäblich zerrissen dabei, da unten rum. Das passiert schnell, wenn die Ärzt*in nicht rechtzeitig zum Messer greift beim Gebären und einen Dammschnitt setzt zwischen Vagina und Anus. Und die Frucht ihres Leibes, gebenedeit? „Ich erinnere mich, wie angewidert ich war als ich das warme, blutige Körperchen meiner Tochter auf meiner Schulter spürte. Es war wie eine haarige Spinne.“ Weder Geburtsschmerz noch Wund-sein wollen vergehen. Sie bleiben und nisten sich ein und legen sich auf ihren ganzen Leib. Sie heissen von nun an Depression, Schuldgefühle, Traurigkeit.

Ihr erloschenes Begehren

Das unten rum, der Riss, der Ritz, der Spalt sind fortan tabu und fremd und unbewohnbar. «Überall war ich, überall in meinem Körper, und doch er [ER] suchte mich dort. Wo ich nicht war». Sie spielt ihm Liebhaberinnen zu als Ersatz. Wann es erloschen ist, ihr Begehren? «Irgendwann hatte ich mich so sehr daran gewöhnt, ihn weit weg zu spüren, dass seine Nähe mir einfach Angst machte. Nah, viel zu nah».

Der Riss, der SIE von der Welt trennt

Der Riss ihrer Vagina wird zum Riss, der sie von der Welt trennt. Das Spiel an den Automaten im Casino, die Jetons und Wassermelonen-Symbole, sie werden zu ihrer «Arbeit» und Zuflucht. Dorthin flüchtet sie auch, als ihre erwachsene Tochter auf dem Krankenhausbett liegt und «nichts mehr zu bluten» hat.. Sie geht. Lässt die Tochter zurück. «Sie war schliesslich kein Kind», sagt SIE.

 

Madonna werden

SIE weiss es. SIE, MA-DONNA, passt in keinen Rahmen und entspricht keinem Frauenbild. Schon gar nicht dem der unversehrten katholischen Madonna. Und sie weiss, dass SIE nicht weiss, wie das geht: ein Kind, einen Partner, sich selbst lieben. Auch  wenn das alles so ist oder gerade, weil das so ist, insistiert SIE, Frau und Original zu sein. Ein Original, das es verdient hat, in einen heiligmachenden Rahmen gefasst zu werden. Einen, der das «Gefühl der Leere» abzutreiben vermag. Einen, der hält und umarmt und heiligt.

 «Ich gehöre zu den Schatten, nicht zu den Heiligen. Doch selbst Schatten sind es wert, umarmt zu werden».

 

Und das Kind der MA-DONNA?

Die Tochter der beiden Protagonisten SIE und ER irrlichtert als Phantom durchs Stück. Lange bleibt unklar, ob sie noch lebt. Unklar bleibt auch, warum die Tochter ihr ganzes Blut bereits verblutet hat, sodass sie nichts mehr zum Bluten hat. Woher diese viel zu frühe Menopause?. Ist diese einer aus dem Ruder gelaufenen Abtreibung geschuldet? Gar einer bewussten Wahl? Der Wahl, nie Mutter werden zu wollen? Nie so werden zu wollen wie ihre Mutter?

Gegen Schluss, da taucht sie dann doch überraschend noch auf, die Tochter Und es wird klar, dass sie eigentlich immer schon da war. Denn: Sie ist der am Kreuz hängende Jesus. Die Kinder von Madonna und MA-DONNA sind ein*e und der*die*selbe. Gleich im Bluten und ausgeblutet sein. Gleich im Martyrium und im Schmerz. «Sie schleppte das Kreuz, das allen Frauen anvertraut wurde. Das Kreuz, das wir von Mutter zu Tochter, von Mutter zu Tochter weitergeben. Stigmata auf ihrer Brust, Stigmata auf ihrem Schoß».

«Ja, meine Tochter ist Jesus Christus. »

SIE

Durch diese Gleichsetzung der Tochter mit dem Jesus am Kreuz verweigert die Autorin sich nicht nur einer religiösen Heils-Logik der Geschlechterdifferenz. Sie verweigert sich auch einer noch heute in bestimmten Kreisen anzutreffenden katholischen Kult-Logik, wonach das Blut aus der Seitenwunde Jesu die Menschen heiligt, während das Menstruations-Blut der Frau sie unrein macht.

Ein neues AVE MARIA

Am Ende des Stücks steht die Selbstermächtigung der MA-DONNA zum eigenen Kind- und Muttersein. Diese Selbstermächtigung hat die Autorin Camilla Dania formal dem alten, kirchlichen Ave Maria nachempfunden, das sie von Kindesbeinen an kennt und zu beten gelehrt wurde: «Gegrüßet seist Du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen. Und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unsres Todes. Amen».

Dieses Gebet, das der Madonna ohne Bindestrich galt, ersetzt sie durch ein neues. Eines, deren Adressat die MA_DONNA mit Bindestrich ist.

«Gegrüsset seist du, Aberfrau, voll der Wut
der Herr
ist ausser Haus

Du bist abgestellt in der Abstellkammer,
man hat versucht, dich in ein Loch zu stecken
doch du bist kein Loch
und auch kein Arsch
und sicherlich
keine Abstellfrau

Ausgekreiselte Aberfrau, ausgerutschte Mutter,
Bitte für uns,
dass wir uns selber auf den Schoss nehmen.
Bitte für uns alle …
Dass wir auch Mütter werden können, von uns selbst.
Amen.»

elke pahud de mortanges
elke pahud de mortanges

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